Eine Beschreibung des friedlich-evolutionären Wegs

Der friedlich-evolutionäre Weg ergibt sich aus einer geschichtlichen Notwendigkeit (siehe Die drei Schlüsselfragen). Je nach Standpunkt lässt er sich, in all seinen Facetten, unterschiedlich deuten und umsetzen, denn: Wenn auch ein Resultat theoretischer Auseinandersetzung, ist er vor allem ein Weg der Praxis. Mit seiner praktischen Umsetzung ist eine Verbesserung des menschlichen Miteinanders, der individuellen Urteilsfähigkeit wie auch der psycho-physischen Konstitution der Einzelnen verbunden. Wir verstehen ihn als Schlüssel zur Bewältigung der enormen Herausforderungen unserer Zeit.

Die Antwort auf die erste Schlüsselfrage

(Wie lassen sich erfolgreichere und attraktivere Einstellungen als die egozentriert rationalistische etablieren?)

Unsere eigene Sicht trägt dazu bei, welche geistigen Einstellungen in einer Gruppe oder Gesellschaft vorherrschen. Die erste Schlüsselfrage befasst sich mit dem menschlichen Miteinander in einem westlich geprägten Rahmen. Der friedlich-evolutionäre Weg beantwortet sie mit einer konkreten Umsetzung der Grundwerte, die historisch im abendländischen Kulturkreis errungen wurden: Gleichwertigkeit und das Wertepaar Eigenverantwortlichkeit /individuelle Freiheit. Ich nenne sie Grundwerte, da ich sie als grundlegend erachte für eine längst fällige und heute geschichtlich zwingend anstehende menschliche und soziale Entwicklung. Sie haben transzendentale Bedeutung, und wenn sie gelebt werden haben egozentriert rationalistische Verhaltensweisen - angesichts funktionierender Systeme von Selbststeuerung - keine Chance. Sie gewährleisten, sich auf gleicher Augenhöhe, frei und deshalb auch eigenverantwortlich begegnen zu können.
Dabei wird einer zügellosen Freiheit dadurch Grenzen gesetzt, dass das Individuum sich für sich und sein Handeln verantwortlich fühlt: Fehler für das eigene Tun werden nicht anderen zugeschrieben. Wenn es angebracht ist, sich abzugrenzen, Unklarheiten oder Übergriffen zu begegnen, dann freundlich und höflich. Gelebte Gleichwertigkeit wahrt die eigenen Interessen und achtet die der Anderen als ebenso wichtig: auf der Basis konsensorientierten Verhaltens, das einen Interessenausgleich beim menschlichen Miteinander sucht, um dann einen Weg der Vereinbarkeit zu finden. Ein derartiges Vor-gehen schafft Einverständnis, Vertrauen und sozialen Frieden. Wenn auf dieser Grundlage Gruppen Gleichgesinnter in der Praxis gemeinsam ihre Projekte realisieren, errichten sie funktionierende Systeme der Selbststeuerung zur Konfliktbewältigung und Strukturierung ihrer Belange (siehe Publikation Eine zeitgemäße Methode zur Errichtung von Gruppen freier Menschen mit einem starken inneren Zusammenhalt). Das ist die praktische Umsetzung friedlich-evolutionären Verhaltens. Es lässt sich formal beschreiben und ist Ausdruck eines aufgeklärten Egoismus. Es kann auch als ein Kalkül, und zwar das der Gegenseitigkeit verstanden werden.

Die Antwort auf die zweite Schlüsselfrage

(Wie gelingt es, dass bei einer Beurteilung alle grundlegenden Gesichtspunkte und Verbindungen gesehen und verstanden werden?)

Aus altchinesischer Sicht sind Theorie und Praxis sich ergänzende Gegensätze: Theorie ohne Praxis ist unnütz, Praxis ohne Theorie gefährlich. Es gilt, sich mit der Ordnung des Universums durch Studium und Praxis vertraut zu machen und dabei die eigene Konstitution zu transformieren.
Mit dem friedlich-evolutionären Weg ist ein Verständnis der Welt verbunden, das die natürliche Dynamik aller Veränderung, im klassischen China TAO genannt, verinnerlicht. Darin offenbart sich das klassische chinesische Verständnis des Universums, mit dem die komplexen und dynamischen Vorgänge in dieser Welt erfasst werden können. Alles Bestehende ist aus zwei gegensätzlichen und sich ergänzenden Tendenzen zusammengesetzt: Yin und Yang. Dabei steht das zentrifugale Prinzip Yin für die Aktivität der Ausdehnung und das zentripetale Prinzip Yang für die Aktivität des Zusammenziehens.
Die Ordnung des Universums vermittelt in einer expliziten, an die heutige Zeit angepassten Darlegung des TAO, diese Weltsicht. Sie geht auf den Japaner Georges Ohsawa zurück und kann als eine Rationalität des Ausgleichs verstanden werden. Sie vermeidet die Einseitigkeit, die egozentrierte Rationalisten in den Strudel von Gefangenen-, Beitrags- und Nutzungsdilemmas verstrickt und erfasst die Komplexität und Dynamik der jeweiligen Situation. Gegensätze werden als Ergänzungen verstanden. Daraus lässt sich leicht die Erkenntnis ableiten, dass jeder Vorteil auch mit einem Nachteil verbunden ist und umgekehrt. So werden Situationen ganzheitlich erfasst und systematische Denkfehler, die sich derzeit täglich milliardenfach ereignen, lassen sich vermeiden.

Die Antwort auf die dritte Schlüsselfrage

(Wie wird gewährleistet, dass Konzepte zum Ausweg aus der Krise nicht Rückkoppelungen erzeugen, welche die Lage der Menschheit weiter verschlechtern?)

Nur durch geistige Entwicklung vermögen wir zu erschließen, welche Logik in der heutigen Welt verlässlich ist und uns für kommende Zeiten wappnet. Der friedlich-evolutionäre Weg ist ein umfassender spiritueller Weg. Er führt, ohne Dogmen und Glaubensgrundsätze, direkt ins Zentrum des Spirituellen. Dadurch, dass wir die Trennungen der endlichen Welt (Sehende und Gesehene, Subjekt und Objekt, usw.) ablegen, erheben wir uns der materiellen Welt. Allein durch geistige Entwicklung gelingt es, die endliche Welt zu überschreiten und sich dem Dilemma von Fortschritt und Rückschritt zu entziehen: Nach der Ordnung des Universums ist mit einem Fortschritt in der endlichen Welt immer auch ein Rückschritt verbunden. Allein die geistige, spirituelle Entwicklung hin zum EINEN vermag uns vor dem Wechselspiel dieser Gegensätzlichkeit zu schützen. Sich dem Spirituellen zu öffnen und darin zu leben ist das Ziel.

Ein Weg geistiger Entwicklung

Der friedlich-evolutionäre Weg ist ein umfassender spiritueller Weg. Wer ihn geht, wird den Blick von außen nach innen wenden, Verantwortung für das eigene Handeln und sich übernehmen, das eigene Verhalten und Weltverständnis reflektieren und gegebenenfalls Einstellungen, Denken und Sicht ändern. Der Weg zielt nicht nur auf die Verbesserung der eigenen psychisch-physischen Konstitution, sondern auf Transzendenz.

Eine wirksame und vorteilhafte Strategie

Der friedlich-evolutionäre Weg lässt sich am einfachsten, alle Einzelaspekte umfassend, als der Weg des Yang im Inneren und Yin im Äußeren beschreiben. Das bedeutet gleichzeitig Stabilität und Flexibilität in einem dynamischen Gleichgewicht. Dabei steht das zentrifugale Prinzip Yin für die Aktivität der Ausdehnung und das zentripetale Prinzip Yang für die Aktivität des Zusammenziehens. Der friedlich-evolutionäre Weg beschreibt anschaulich auf den verschiedenen Ebenen, was Yang im Inneren und Yin im Äußeren bedeutet, wie es sich ausdrückt und wie es erreicht werden kann. Nach Song-Tse, einem der sieben großen Strategen des klassischen China, kann sich Yang im Inneren und Yin im Äußeren beliebig entwickeln. Basierend auf dieser Erkenntnis versteht sich der friedlich-evolutionäre Weg als wirksame und vorteilhafte Strategie, die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen und ihnen dynamisch zu begegnen. De zentrale Devise lautet: Einheit in der Vielfalt.