Die drei Schlüsselfragen

Die Darstellung des friedlich-evolutionären Wegs wird durch eine Analyse eingeleitet, aus der sich drei Schlüsselfragen ergeben.
Es gilt zu klären, wie die heute weltweit vorherrschende Geisteshaltung, die sogenannte egozentrierte Rationalität, sich auf die sozialen und biologischen Lebensgrundlagen der Menschheit auswirkt.


Egozentrierte Rationalität führt dazu, dass ein Möglichst viel für mich angestrebt wird, ohne mittel- oder langfristige Folgen oder die Belange Anderer mit zu bedenken. Diese Geisteshaltung ist berechnend und materialistisch, dem eigenen Nutzen und der Bereicherung zugewandt und somit eng mit dem Kapitalismus verbunden. Sie polarisiert, verleitet zum Plündern, dem Ausbeuten von Ressourcen und führt zu einem ausgeprägten Konkurrenzdenken. Die Analyse zeigt: Das egozentriert rationalistisches Denken ist einseitig und erfasst komplexe und dynamische Situationen häufig nur unzureichend, da der Bezug auf sich selbst und seine Interessen bei vielschichtigen Zusammenhängen zum Verständnis der Situation nicht hinreicht. Das wird besonders deutlich, wenn es gilt, die Nutzung der materiellen und ideellen Gemeinschaftsgüter der Menschheit oder das soziale Miteinander zu organisieren; dann verfängt sich die egozentrierte Rationalität in veritablen Denkfallen. Diese sogenannten Rationalitätsfallen, wie beispielsweise das Nutzungs-, Beitrags- und Gefangenendilemma, führen dazu, dass sich für das Individuum eben nicht die angestrebten großen individuellen Vorteile ergeben - stattdessen schadet es häufig sich selbst und dem Kollektiv. Konkret zeigt sich seine zerstörerische Kraft in zersplitterten Gesellschaften, erschöpften Fischgründen, degradierten Böden, verstärktem Misstrauen und Konkurrenzverhalten, unzähligen Finanzkrisen und der Unfähigkeit, dringliche Probleme nachhaltig zu lösen (zum Beispiel im Klimaschutz). Die egozentrierte Rationalität verfügt nicht über Mittel, sich selbst aus diesen Fallen zu befreien, sie bleibt Gefangene ihrer eigenen Schattenseiten: Irrationalitäten, Selbstschädigungen und kollektiv unerwünschten Konsequenzen. Die Folgen könnten kaum schwerwiegender sein.


Das wird deutlich, wenn Fragen zu beantworten sind wie: "Entscheiden wir uns für die tradierten Wege oder tragen wir zu einem historisch gebotenen Anpassungsprozess bei?" "Nutzen die Reichen und Mächtigen Macht und Einfluss dazu, eigene Interessen durchzusetzen oder werden langfristige und tragfähige Lösungen angestrebt?", oder - ganz konkret für die Menschen der westlichen Welt: "Soll ich meinen Konsum einschränken und menschenwürdig produzierte Bio-Produkte kaufen, um so zu einer gerechteren und lebenswerteren Welt beizutragen?", denn: Überwiegt die egozentriert rationalistische Einstellung, wird weiter wie bisher konsumiert, werden die Einflussreichen ihre Privilegien verteidigen, wird nicht zum historisch gebotenen Anpassungsprozess beigetragen und die Welt sich immer mehr in Gefangenen- und Beitragsdilemmas verfangen. So wird ihr es nicht gelingen, ihre Probleme zu lösen.


Aus dieser Einsicht ergeben sich drei Schlüsselfragen. Jeder vernunftgeleitete Weg sollte auf jede von ihnen eine tragfähige, praktisch umsetzbare Antwort liefern, um auf die Schwierigkeiten unserer Zeit reagieren zu können, und sie zu überwinden. egozentriert rationalistische etablieren, die ein funktionierendes System von Selbststeuerung schaffen, das Machtmissbrauch und verheerende Einflussnahmen verhindert?
Solange egozentrierte Egoisten nicht durch äußere Faktoren zu einer alternativen Bewertung der Situation gezwungen werden, wirken diese Fallen mit allen Konsequenzen weiter. Eine Veränderung der Rahmenbedingungen werden sie, wenn ihnen dadurch kurzfristige Nachteile entstehen können, mit allen Möglichkeiten zu verhindern suchen. Auch Einsicht ist nicht zu erwarten. Wenn sich nicht andere Einstellungen als langfristig erfolgreicher erweisen, werden sie über Zusammenbrüche und den kollektiven Ruin hinweg von der eigenen Methode überzeugt bleiben - bis buchstäblich das letzte Rädchen des Austauschprozesses zum Stillstand gekommen ist.


Die zweite Schlüsselfrage ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit dem Beitrags-, Nutzungs- und Gefangenendilemma. Egozentriert rationales Denken erfasst komplexe und dynamische Zusammenhänge nur in Teilen und erweist sich in der Praxis als äußerst fehleranfällig. Die Folge einer solchen, unzureichenden Datenverarbeitung sind kollektive Irrationalitäten und Selbstschädigung. Aus dieser Erkenntnis resultiert die zweite Schlüsselfrage: Wie gelingt es kognitiv, die entscheidenden Einflussgrößen so zu berücksichtigen und zu bündeln, dass bei einer abschließenden Beurteilung alle grundlegenden Gesichtspunkte und Verbindungen gesehen und verstanden werden?
Es gilt, eine Art des Denkens zu finden, die bei komplexen und dynamischen Zusammenhän-gen die grundlegenden Einflussgrößen zusammen mit ihren Verbindungen erfasst. Auf dieser Grundlage fällt dann der Einzelne seine Entscheidung. Wie er das macht, ist seiner freien Entscheidung anheim gestellt.


Zur dritten Schlüsselfrage: Die Menschheit steht am Ende von 250 Jahren der Verheißung eines unbegrenzten Fortschritts. Das große geschichtliche Vorhaben, Glück durch Fortschritt und immer größeren materiellen Wohlstand zu erlangen, hat derartige Rückkoppelungen erzeugt, dass "der Wohlstand, die Gesundheit, die Sicherheit und das Überleben der gesamten Menschheit auf der Kippe stehen".[1] Degenerationserscheinungen, zersplitterte Gesellschaften und prekäre Lebensgrundlagen offenbaren heute überdeutlich einen Rückschritt auf allen Ebenen.
Folglich lautet die dritte Schlüsselfrage: Wie wird gewährleistet, dass Konzepte zum Ausweg aus der Krise nicht Rückkoppelungen erzeugen, welche die Lage der Menschheit weiter verschlechtern?


Unser Spielraum ist begrenzt; es kann und muss experimentiert werden, doch weitere, grundsätzliche Fehleinschätzungen können fatale Folgen haben. Der friedlich-evolutionäre Weg entstand aus einem Defizitempfinden an Konzepten, die der gegenwärtigen Situation in ihrer Gesamtheit Rechnung tragen und glaubhaft ihre Beständigkeit und Verlässlichkeit darlegen. In dieser Hinsicht ergibt er sich aus einer geschichtlichen Notwendigkeit und versteht sich als gangbare, erfolgversprechende Alternative.


  • [1] So heißt es in der Abschlusserklärung der fünften Tagung des International Panel of Climate Change (IPCC), die im Februar des Jahres 2007 in Paris abgehalten wurde. Das Zitat findet sich in dem Artikel: Eine neue Umweltorganisation?. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.2.2007..